ZUKUNFTSGERICHTET

4 5 In Zeiten zunehmender globaler, politischer und gesellschaftlicher Unsicherheiten, in denen das Vertrauen in demokratische Prozesse und staatliche Institutionen schwindet, kommt der Justiz eine besondere Rolle zu: Sie ist Garantin für Rechtsstaatlichkeit und Stabilität. Unsere Gerichte stehen für eine verlässliche dritte Gewalt im Staat – unabhängig, unparteiisch und nur dem Recht verpflichtet. Doch die Stabilität dieses Fundaments ist kein Selbstläufer. Sie muss täglich erarbeitet, verteidigt und weiterentwickelt werden – damit der Rechtsstaat nicht in Schieflage gerät. Die Herausforderungen, vor denen die Justiz steht, sind immens. Der digitale Wandel, der Fachkräftemangel und eine sich verändernde Gesellschaft fordern uns heraus. Doch gerade Baden-Württemberg hat immer wieder gezeigt, dass es in der Lage ist, voranzugehen. Das Projekt ZUKUNFTSGERICHTET, das ich im Januar 2024 ins Leben gerufen habe, soll Antworten auf diese Herausforderungen liefern und unsere Justiz fit für die kommenden Jahrzehnte machen. Die Grundlage dafür ist ein denkbar breiter Beteiligungsprozess, den wir im vergangenen Jahr durchgeführt haben und dessen Ergebnisse nun vorliegen. Viele unserer rund 20.000 Justizbediensteten sowie Bürgerinnen und Bürger und Vertreterinnen und Vertreter unserer wichtigsten Partner haben sich in unterschiedlichen Formaten eingebracht – mit kreativen Ideen, kritischen Fragen und einer klaren Botschaft: Unsere Justiz braucht moderne Strukturen, zeitgemäße Arbeitsbedingungen und den Mut, neue Wege zu gehen. Wenig verwunderlich ist, dass innerhalb und außerhalb der Justiz vor allem die Digitalisierung als Schlüssel zur Zukunftssicherung identifiziert wurde. Schon heute nimmt Baden-Württemberg auch hier eine Vorreiterrolle ein. Ob die flächendeckendende Einführung der elektronischen Akte, eine intelligente Vernetzung der Gerichte und Justizbehörden oder der verantwortungsvolle Umgang mit Künstlicher Intelligenz – wir haben einmal mehr die Chance, bundesweit Maßstäbe zu setzen. Gleichzeitig wissen wir: Die besten Technologien sind nutzlos, wenn wir die Menschen, die mit ihnen arbeiten, nicht mitnehmen und für die Zukunft begeistern. Die Justiz muss sich weiterentwickeln, ohne ihre bewährten Prinzipien aufzugeben. All dies erfordert Mut und Zuversicht. Mut, um eingefahrene Strukturen zu hinterfragen und neue Lösungen zu wagen. Und Zuversicht, weil wir in den vergangenen Monaten gesehen haben, wie viel Identifikation, Innovationskraft und Engagement nicht nur in unserer Justiz steckt, sondern auch in all jenen, denen unser Rechtsstaat am Herzen liegt. Ich bin überzeugt: Die Ergebnisse dieses Beteiligungsprozesses sind nicht nur wegweisend für die Zukunft der Justiz in Baden-Württemberg, sondern auch ein starkes Signal für die Handlungsfähigkeit unseres Rechtsstaats. Mein herzlicher Dank gilt allen, die sich mit ihrer Expertise und ihren Ideen in unser Projekt eingebracht haben. Gemeinsam haben Sie gezeigt, dass Sie nicht nur über die Zukunft der Justiz reden, sondern den Rechtsstaat aktiv gestalten wollen. Lassen Sie uns diesen Weg, den wir gemeinsam beschritten haben, mutig weitergehen. Justizministerin Marion Gentges spricht vor 1.200 Teilnehmern auf dem Zukunftsforum Justiz. Marion Gentges MdL Ministerin der Justiz und für Migration Baden-Württemberg Die Justiz ist das Fundament unseres Rechtsstaats

6 7 Dieser Projektbericht widmet sich der Darstellung und Analyse von Herausforderungen. Er identifiziert Spannungsfelder und benennt Lösungsansätze – und leistet so einen Beitrag zur Stärkung des Rechtsstaats in einer Zeit großer Umbrüche. EIN VIELSCHICHTIGES BILD Im Jahr 2023 hat das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg das Projekt ZUKUNFTSGERICHTET ins Leben gerufen und damit sprichwörtlich einen Stein ins Rollen gebracht. Beim offiziellen Start der Beteiligung im Januar 2024 nannte Ministerin Marion Gentges MdL als Ziel, ein vielschichtiges Bild zu erzeugen von der Justiz der Zukunft in Baden-Württemberg. Gemeint war damit: ein ehrlicher, unvoreingenommener, mutiger und kreativer Blick auf die Justiz der Zukunft – und zwar von allen Seiten. Das Herzstück des Projekts war ein breit angelegter Beteiligungsprozess. Dieser Prozess diente mit vielfältigen maßgeschneiderten Bausteinen und Formaten als Plattform für jedermann: um Ideen einzubringen, zu diskutieren und die Justiz von morgen aktiv mitzugestalten. Welche Erwartungen hat die Gesellschaft an eine moderne Justiz? Wo sehen die rund 20.000 Justizbediensteten des Landes sich und ihre Arbeitgeberin in der Zukunft und was erwarten sie von ihr? Was bewegt Studierende, Referendare und Auszubildende? Wie machen wir den Rechtsstaat in Deutschland, insbesondere im Land Baden-Württemberg, gemeinsam fit für die Zukunft? Die vorliegenden Erkenntnisse und Impulse zu all diesen und vielen weiteren Fragen sind ebenso zahlreich wie differenziert. Zusammen zeichnen sie ein aussagekräftiges Bild von der Justiz als einer modernen, starken Institution der Zukunft. Ein detailreiches Bild mit starken Konturen. EIN PROJEKT FÜR ALLE – GEMEINSAM Zur Teilnahme aufgerufen waren nicht nur alle Angehörigen der baden-württembergischen Justiz, sondern auch all diejenigen, die täglich im Rechtsstaat wirken: Partnerinnen und Partner der Justiz, etwa in der Rechtsanwaltschaft und den rechtsnahen Berufen, in der Polizei und im öffentlichen Sektor, aber auch aus Wirtschaft und Industrie sowie diversen weiteren Interessengruppen. Darüber hinaus kamen Expertinnen und Experten mit den unterschiedlichsten Impulsen zu Wort. Natürlich ist ZUKUNFTSGERICHTET vor allen Dingen aber ein Projekt für die Bürgerinnen und Bürger, für die Justiz nicht Alltag ist – und denen unser Rechtsstaat gleichwohl zuvorderst dient. Ihnen ist die Justiz heute und in Zukunft verpflichtet. Auch sie haben wertvolle Beiträge eingebracht. EINE UNVOREINGENOMMENE ANALYSE Der vorliegende Bericht verfolgt mehrere Ziele: Als Abschlussdokument führt er zunächst strukturiert die Ergebnisse verschiedener Beteiligungsprozesse zusammen, die im Zukunftsprojekt der badenwürttembergischen Justiz im Jahr 2024 gelaufen sind. Er erfüllt freilich keinen Anspruch auf Lückenlosigkeit – wohl aber darauf, ein treffendes Abbild aller Stimmen zu liefern. In dieser Funktion dient er der Dokumentation und der Wiedergabe eines geschilderten Ist-Zustandes der Justiz. Er spricht auch unbequeme Wahrheiten offen an. ALS GRUNDLAGE FÜR KOMMENDE KAPITEL Ganz entscheidend legt dieser Bericht darüber hinaus aber in seiner Funktion als Arbeitspapier einen starken Fokus auf dasjenige, was kommt: Ausgehend von den Impulsen der Beteiligung zeichnet er – geordnet in Kapiteln – ein detailreiches Bild von der Justiz der Zukunft in BadenWürttemberg. Er benennt in allen Kapiteln sowohl das Ideal als auch konkrete Anknüpfungspunkte aus der Beteiligung, um diesem näher zu kommen. Außerdem liefert er bereits erste Antworten des Ministeriums und zeigt auf, an welchen Stellschrauben für die Zukunft die Justiz in BadenWürttemberg schon heute dreht und welche Schritte sich anbahnen – schließlich starten wir keineswegs bei null, sondern sind bereits auf dem Weg. FÜR DEN RECHTSSTAAT Der Rechtsstaat leistet Gewähr für die Freiheit, die Sicherheit und die Gleichheit der Bürgerinnen und Bürger. Er ist nicht weniger als das Fundament unserer demokratischen Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Die Justiz in Baden-Württemberg ist eine tragende Säule dieses Rechtsstaats. Sie spricht Recht und setzt Recht durch, sie vermittelt und bietet Lösungen bei Rechtsstreitigkeiten und Problemen und führt zusammen. Der Rechtsstaat wird verkörpert durch Gerichte, Staatsanwaltschaften und Vollzugsanstalten – und rund 20.000 Bedienstete, die im Dienst des Rechtsstaats stehen. Tausende von ihnen haben mitgemacht und sollen sich in diesem Dokument wiederfinden. IN HERAUSFORDERNDEN ZEITEN In einer sich stetig wandelnden Welt sieht sich der Rechtsstaat zunehmend mit Herausforderungen konfrontiert, die seine Grundprinzipien auf die Probe stellen. Globalisierung, Digitalisierung und politische Polarisierung verändern nicht nur die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sondern stellen auch die Justiz vor komplexe Aufgaben. Wie muss die Justiz in unserem Land Phänomenen wie Fachkräftemangel und demographischem Wandel begegnen, um auch in Zukunft ihre Aufgabe im Rechtsstaat zu meistern? Zukunftsgerichtet - ein einzigartiges Projekt »Wie arbeiten Gerichte, Staatsanwaltschaften und der Justizvollzug in der Zukunft?« Ministerin Marion Gentges MdL

8 9 JAN JAN - APR 2024 MAI OKT - NOV NOV OKT JUL - SEP JUL Roadshow Beteiligung von rund 2.000 Justizbediensteten auf 14 Veranstaltungen an 13 Justizstandorten in BadenWürttemberg Onlinebeteiligung I 1.145 Vorschläge von 16.716 Teilnehmern; über die Vorschläge wurde 256.352 Mal abgestimmt Digital Veröffentlichung der Website www.zukunftsgerichtet.de am 26.01.2024: Zentrale Plattform für Informationen, Beteiligung und Kontakt zum „Team Zukunft“ im Ministerium Zeitgleich Beginn der Begleitung des Projekts auf Social Media-Kanälen des Projekts (Instagram, LinkedIn, Facebook) und der o.g. Online-Beteiligung (Make) Ihre Haltung zur Justiz? Eine repräsentative demoskopische Erhebung durch das Institut INSA-Consulere befragt 1.000 Bürgerinnen und Bürger im Auftrag des Ministeriums Ein Projekt, das die Menschen bewegt Workshops des Ministeriums für Führungskräfte der Landesjustiz Der Weg in die Justiz? Umfrage unter Studierenden der baden-württembergischen rechtswissenschaftlichen Fakultäten mit 960 Teilnehmern StakeholderWorkshops Die wichtigsten Partner und Interessenträger der Justiz werden aktiv beteiligt, z.B. Rechtsanwaltschaft, Polizei, Wirtschaft, Industrie, justiznahe Einrichtungen und Berufe und viele mehr Zukunftsforum Justiz Große Abschlussveranstaltung auf dem Gelände der Landesmesse Stuttgart mit 1.200 Teilnehmern Onlinebeteiligung II 2.628 Teilnehmer haben zu sieben zentralen Themenbereichen 419 Kommentare abgegeben, die 10.547 Reaktionen erfahren haben »Ein Projekt, das die Menschen bewegt: Mit verschiedenen interaktiven Beteiligungsprozessen hat ZUKUNFTSGERICHTET im Jahr 2024 tausende Menschen beteiligt und Ideen eingesammelt.« Ministerin Marion Gentges MdL

10 11 Roadshow für die Justiz // Wangen im Allgäu // Offenburg // Konstanz // Rottweil // Heilbronn // Tübingen // Ellwangen // Schwetzingen // Freiburg // Ulm // Heidelberg // Karlsruhe // Stuttgart 1 8 2 9 3 10 4 11 5 12 6 7 13 Wir packen es an GEMEINSAM FÜR DIE ZUKUNFT DES RECHTSSTAATS IN BADEN-WÜRTTEMBERG Wohin geht die Reise für die Justiz in Baden-Württemberg, wenn es nach den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Beteiligungsprozesse im Projekt ZUKUNFTSGERICHTET geht? Auf den folgenden Seiten werden die wesentlichen Erkenntnisse aller Beteiligungsprozesse im Projekt zusammengeführt: – Onlinebeteiligung, – V eranstaltungen im ganzen Land („Roadshow“) für die Justizbediensteten, – W orkshops, Umfragen und weiterer Beteiligungsformate sowie – e ine repräsentative Erhebung zum Blick der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg auf die Justiz in ihrem Land. 2 1 3 4 5 6 7 9 10 11 12 13 8

12 13 Unter einer Auswahl an – positiv wie negativ belegten – Adjektiven wird das Wort „überfordert“ am öftesten gewählt, gefolgt von den Eigenschaften „gerecht“ und „kompliziert“. Wir haben mit einer repräsentativen demoskopischen Erhebung die Haltung der Bürgerinnen und Bürger zur Justiz abgefragt. Hier werden einige Ergebnisse zusammengefasst, weitere finden sich themenbezogen in diesem Bericht. Auf die Frage, ob und gegebenenfalls was sie an der Justiz schätzen, hat jede/-r Fünfte der befragten Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg eine Antwort. Meistgenannt werden: Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit, gefolgt von Kompetenz und Zuverlässigkeit/Vertrauenswürdigkeit. Die Sicht der Bürgerinnen und Bürger Welche der folgenden Adjektive verbinden Sie mit der Justiz in Baden-Württemberg? Was schätzen Sie an der baden-württembergischen Justiz? Gerechtigkeit / Verhältnismäßigkeit Zuverlässigkeit / Vertrauenswürdigkeit Unbestechlichkeit / Unabhängigkeit Geschwindigkeit / schnelle Reaktion / Erreichbarkeit Härte Sonstiges Kompetenz 38 % 20 % 16 % 9 % 7 % 6 % 24 % überfordert 41 % gerecht 38 % kompliziert 35 % transparent 21 % unnahbar 16 % modern 16 % schnell 12 % korrupt 9 % keine davon 4 % weiß nicht 9 % keine Angabe 2 %

14 15 Zu lange Verfahrensdauern werden von 59 % aller Befragten als Problem der Justiz genannt, gefolgt von komplizierten Gesetzen. Welche der folgenden möglichen Probleme empfinden Sie derzeit in Bezug auf die Justiz in Baden-Württemberg als zutreffend? Welchen Bereich der Justiz in Baden-Württemberg nehmen Sie am stärksten wahr? 2 % keine Angabe 15 % Zivilgericht 12% Familiengericht 22 % keine davon 7% weiß nicht 5% Betreuungsgericht 36% Strafjustiz zu lange Verfahrensdauer komplizierte Gesetze zu milde Strafen mangelnde Digitalisierung zu wenig Öffentlichkeitsarbeit mangelnde Gleichbehandlung im Sinne einer Besser- oder Schlechterstellung bestimmter Personengruppen intransparente Entscheidungen schlechte Bezahlung des Personals in der Justiz Korruption zu harte Strafen weiß nicht keine davon keine Angabe Die größte Aufmerksamkeit erfährt in der Öffentlichkeit die Strafjustiz. 42 % 38 % 33 % 59 % 27 % 20 % 19 % 14 % 10 % 7 % 4 % 6 % 2 %

16 17 Wie würden Sie alles in allem die Verständlichkeit der Strukturen der Justiz in Baden-Württemberg beschreiben? keine Angaben eher unverständlich sehr unverständlich weiß nicht sehr verständlich eher verständlich 2 % 31 % 9 % 10% 8 % 41 % Ein Drittel der Befragten hält die Justiz für eher oder sehr bürgernah. Unter Menschen, die im juristischen Bereich arbeiten, ist diese Zahl deutlich größer. Der hauptsächlich genannte Grund für fehlende Bürgernähe: ein Mangel an Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit. Knapp die Hälfte aller Befragten hält die Strukturen der Justiz für eher oder sehr verständlich. Inwieweit würden Sie die baden-württembergische Justiz als bürgernah bezeichnen? sehr bürgernah 6 % 52% 0% 71% 29% 13% 34% eher bürgernah 31 % eher nicht bürgernah 36 % transparent 21 % unnahbar 16 % modern 16 % nicht bürgernah weiß nicht / keine Angaben bürgernah im juristischen Bereich tätig im juristischen Bereich nicht tätig

18 19 Würden Sie eher in Erwägung ziehen, einen Anspruch gerichtlich geltend zu machen, wenn das Gerichtsverfahren ausschließlich online stattfinden würde (z.B. Gerichtstermine über Video, Korrespondenz ausschließlich per Mail)? Warum ist die Justiz in Baden-Württemberg Ihrer Meinung nach nicht bürgernah? zu wenig / schlechte Kommunikation / Öffentlichkeitsarbeit unnahbar / abgehoben / unfreundlich nicht unvoreingenommen / neutral unverständlich / nicht nachvollziehbar Intransparenz zu milde / schlechte Urteile zu langsam / zu viel Bürokratie kein Bezug zur Justiz / keine Behrührungspunkte Überlastung / Zeitmangel Sonstiges 37 % 52 % 11% 1% 29 % 40 % 8 % 44 % 63 % 14 % ja nein weiß nicht keine Angaben weiblich 0 % Welche der folgenden Verfahrensarten sind Ihrer Meinung nach geeignet, um digital (also per Videoverhandlung) stattzufinden? Arbeitsgerichtsverfahren 28 % familiengerichtliche Scheidungsverfahren 26 % Verfahren vor dem Verwaltungs-oder Sozialgericht 25 % Zivilverfahren 22 % Kindschaftssachen (z.B. Umgangsrecht, Vormundschaft) 17 % Strafverfahren 8 % keine davon 22 % weiß nicht 13 % keine Angabe 2 % 36 % 16 % 13 % 12 % 10 % 10 % 8 % 8 % 4 % 6 %

20 21 Das Ideal der starken Justiz von Morgen Zeit, die nächsten Kapitel zu schreiben Wie ließe sich die perfekte Justiz der Zukunft definieren, wenn man die Essenz aller Impulse im Projekt ZUKUNFTSGERICHTET herausarbeitet? Die Justiz von morgen – Gerichte, Staatsanwaltschaften, Justizvollzug und -verwaltung – ist voll digitalisiert, bewahrt aber ihre Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern. Sie ist souverän, weiß um ihre Stärken und wird kraft ihrer Qualitäten und ihres Wirkens geschätzt. Ihre Kompetenz in der Rechtsanwendung ist unangefochten. In folgendem Punkt besteht Einigkeit: Um fit für die Zukunft zu sein, darf die Justiz nicht stehenbleiben. Sie muss mit der Zeit gehen, ohne dabei gleich jeden Trend aufzugreifen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aller Formate haben der Justiz Potenzial und Veränderungsbedarf in vielen Bereichen attestiert. Nun ist es an der Justiz, die Weichen für die Zukunft zu stellen – und die nächsten Kapitel zu schreiben. Sie ist attraktiv für die Menschen, die sie anrufen ebenso wie für diejenigen, die in ihr arbeiten. Sie vereint moderne Dienstleistungen mit klassischen hoheitlichen Aufgaben, bietet nachhaltig sinnstiftende Tätigkeiten und genießt das Vertrauen der Gesellschaft. Auch deshalb steht sie als Top-Arbeitgeberin hoch im Kurs beim Nachwuchs.

23 22 Erstes Kapitel Kapitel I.1 Kapitel I.1 Flexibilität in einer positiven Arbeitskultur Kapitel I.2 Sicherheit und Justizvollzug Kapitel I.3 Digitale Leistungsfähigkeit und Vernetzung Kapitel I.4 Digitalisiert, spezialisiert, … zentralisiert? Kapitel I.5 Mut zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) 21 27 33 40 46 Erstes Kapitel Moderne Strukturen und Arbeitsbedingungen I Flexibles Arbeiten oder Präsenzkultur? Die Justiz der Zukunft vereint das Beste aus beiden Welten. Sie ermöglicht effektives Arbeiten – gleich ob im Büro, im Homeoffice oder unterwegs – und nimmt keine Abstriche in Kauf beim menschlichen Miteinander und der Qualität von Arbeitsergebnissen. Sie gewährleistet auf diese Weise eine effiziente Gebäudenutzung ebenso wie Freiraum und Flexibilität für ihre Bediensteten. Flexibilität in einer positiven Arbeitskultur

24 25 Justizbedienstete setzen für die Zukunft auf moderne Arbeitsmodelle und sehen große Chancen in einer konsequenten Digitalisierung und Flexibilisierung ihres Arbeitsalltags – sowohl zeitlich als auch räumlich. Der individuelle Gewinn an Lebensqualität durch Flexibilität im Arbeitsalltag wird keinesfalls als Einbahnstraße interpretiert: Klare Rahmenbedingungen fürs Team, Verbindlichkeit und Erreichbarkeit sind selbstverständlich. So bietet eine moderne Arbeitskultur nicht nur Pluspunkte für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern Chancen für die Justiz als Institution. Pendelzeiten zugunsten von Familienfreundlichkeit und effektiver Arbeit zu reduzieren, steht für die Bediensteten weit oben auf der Agenda. Um dies zu erreichen, werden kreative Möglichkeiten benannt. Der Themenkreis um die Gestaltung moderner Bürolandschaften spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Frage, wie die Justiz in der Zukunft ihre Arbeit organisiert. Einer Modernisierung hin zu mehr Variabilität begegnen die Bediensteten mitunter zwar skeptisch, größtenteils aber mit Neugier und Mut zur Veränderung. Eine ausreichende Zahl an ruhigen Arbeitsplätzen und die grundsätzliche Möglichkeit zur konzentrierten Arbeit im (evtl. im Wechsel genutzten) Einzelbüro sollten weiterhin zur Verfügung stehen. Ebenfalls gewünscht werden Möglichkeiten und Der demokratische Rechtsstaat steht und fällt mit einer leistungsfähigen Justiz. Eine bedeutende Aufgabe des Justizministeriums liegt deshalb darin, Gerichte und Justizbehörden im Land in die Lage zu versetzen, ihre elementare Funktion für den Rechtsstaat zu erfüllen. Eine reibungslose Organisation ist dafür ebenso relevant wie die bestmögliche personelle und sachliche Ausstattung sämtlicher Justizeinrichtungen. Es liegt in der Verantwortung des Justizministeriums, den Wunsch der Bediensteten nach mehr Flächen zur Teamarbeit und zum kollegialen Austausch im Büro. Ein attraktives Arbeitsumfeld – in adäquaten, renovierten Räumlichkeiten – ist den Justizbediensteten flächendeckend besonders wichtig. Flexibilität im Arbeitsalltag mit diesen Anforderungen in Einklang zu bringen. Neben der flächendeckenden Digitalisierung sind daher auch die Modernisierung des Arbeitsumfelds und der Umgang mit Anforderungen, die einem stetigen gesellschaftlichen Wandel unterliegen, Gegenstände laufender Projekte des Ministeriums. Dabei ist klar: Im Mittelpunkt steht immer das Funktionieren des Rechtsstaats. »Wir sollten […] um flexible Lösungen ringen. […] Vielleicht ist es hilfreich, bestimmte Modelle nach Abstimmung vor Ort einfach einmal - zeitlich befristet - auszuprobieren, damit in der Diskussion nicht die Ängste und Sorge um Besitzstände vorherrschen, sondern der Mut, Neues auszuprobieren.« Stimme aus der Online-Beteiligung Kapitel I.1 Flexibilität in einer positiven Arbeitskultur Erkenntnisse Stand der Dinge Sind diese Themen wichtig? Sollen diese Themen intensiver diskutiert werden? ja voll und ganz ja ich stimme zu nein, nicht wirklich nein, ganz und gar nicht Sind das die richtigen Ansätze, um die Justiz in Baden-Württemberg für die Zukunft zu rüsten? Aus der Online-Beteiligung zum Themenkomplex um moderne Arbeitsmodelle auf Make.org

WAHLMÖGLICHKEITEN Impuls aus der Beteiligung Fünf Tage im eigenen Büro oder teilweise im Homeoffice und im Übrigen am geteilten Arbeitsplatz? Wo es die Tätigkeit erlaubt, werden von den Justizangehörigen gewisse Wahlmöglichkeiten befürwortet. In einem Punkt bestand ebenfalls weitgehend Einigkeit: Wer nennenswerte Zeit außerhalb seiner Dienststelle verbringt (sei es in Teilzeit oder im Homeoffice), kann es verkraften, wenn in dieser Zeit die Kollegin oder der Kollege das ansonsten verwaiste Büro nutzt. Erste Antwort Im Zusammenhang mit der Frage, wie Büroräumlichkeiten in der Zukunft ausgestaltet sein sollen, beleuchtet das Justizministerium auch alternative Nutzungskonzepte. Eine optimale Flächennutzung setzt voraus, dass Leerstand – wo möglich – vermieden wird. Dabei ist Fläche nicht gleich Fläche: Unbestritten hat die Justiz über reine Büro- und Konferenzflächen hinaus besondere Raumanforderungen, insbesondere für Verhandlungssäle, Beratungs- und Vernehmungszimmer und Unterrichtsräume. Kapitel I.1 Flexibilität in einer positiven Arbeitskultur Impulse aus der Beteiligung OPTIMALE BÜROGESTALTUNG Impuls aus der Beteiligung Ein gut austariertes Verhältnis zwischen gemischt nutzbaren bzw. geteilten Arbeitsplätzen und Arbeitsplätzen in Einzelbüros ermöglicht sowohl konzentrierte Arbeit mit der Akte als auch Austausch. Warum nicht einmal Co-Working-Bereiche ausprobieren? Die E-Akte macht es möglich. Erste Anwort Neben auch künftig vorhandenen Einzelbüros werden kreative Ansätze aus der Beteiligung – zum Beispiel gemischt nutzbare bzw. geteilte Arbeitsplätze – einbezogen. ARBEIT IM POOL? Impuls aus der Beteiligung Als kreative Möglichkeit wurde die Schaffung eines Anteils an „Pool-Arbeitsplätzen“ in Justizgebäuden vorgeschlagen, z.B. nicht personenscharf zugewiesene Schreibtische zur Benutzung durch mehrere Personen nach Absprache oder nach Buchung in einem digitalen Raumbuchungsmanagement. Erste Antwort Auch die Möglichkeit der Schaffung von „PoolArbeitsplätzen“ wird – unter anderem im Hinblick auf bereits bestehende Telearbeits- und Homeofficemöglichkeiten – im Rahmen der Betrachtung alternativer Büronutzungskonzepte einbezogen. »Die Justiz hat mit ihrer flächendeckenden Präsenz an einer Vielzahl von Standorten ein großes Potential, ‚shared work spaces‘ einzurichten […]. Das könnte ein echtes Argument sein, Nachwuchskräfte zu finden […]« (Stimme aus der Online-Beteiligung) VERNETZUNG DURCH „SHARED WORKSPACES“ Impuls aus der Beteiligung Wenn es nach einigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern geht, ließen sich Büroflächen auch für mehrere Justizstandorte übergreifend denken. Chancen sind: Arbeit (zeitweise) außerhalb der Stammdienststelle; wohnortnahe Arbeit an einem anderen Justizstandort fördert Austausch, Zusammenarbeit, Vernetzung, birgt Potenzial um Pendelzeiten zu reduzieren und ermöglicht unter Umständen behördenübergreifende Vertretung und Aushilfe. Erste Antwort Permanente, sog. „alternative Dienstorte“ werden in bestimmten Fällen bereits heute genutzt, um trotz größerer Entfernungen zwischen Wohnsitz und Dienstort geeignetes Personal zu gewinnen und zu binden. Das Augenmerk des Justizministeriums liegt auf dem zielgerichteten Ausbau dieser bereits bestehenden Option. 26 27 Auf der Roadshow in Konstanz spielte das Thema Flexibilität eine große Rolle.

KLARE RAHMENBEDINGUNGEN Impuls aus der Beteiligung Befürwortet wird zugunsten einer reibungslosen Arbeitsorganisation die Festlegung von verbindlichen Zeitfenstern für unbedingte Erreichbarkeit sowie feste Präsenztage für Teamarbeit und Austausch. Erste Antwort Ein verbindliches Zeitfenster für die Erreichbarkeit ist ein unverzichtbares Element für eine reibungslose Arbeitsorganisation. Feste Präsenztage für Teamarbeit und (persönlichen) Austausch sind ebenfalls wichtige Elemente in der Arbeitsorganisation, die positive Effekte nach innen (Teamgeist) wie außen (Kundenorientierung) haben. Die richterliche Unabhängigkeit bleibt freilich gewahrt. ANGENEHMES ARBEITSUMFELD Impuls aus der Beteiligung Die konsequente Modernisierung aller Justizgebäude war den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein großes Anliegen, ebenso eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung inklusive höhenverstellbarem Schreibtisch. Erste Antwort Das Arbeitsumfeld trägt wesentlich zur Mitarbeiterzufriedenheit bei. Bereits heute besteht die Möglichkeit einer Arbeitsplatzbegehung, um diesen nach ergonomischen Gesichtspunkten bewerten zu lassen. Die Ausstattung bzw. Beschaffung erfolgt im Rahmen der dezentralen Budgetverantwortung grundsätzlich vor Ort. In diesem Rahmen besteht bereits seit Jahren die Möglichkeit (von welcher in der Praxis auch Gebrauch gemacht wird), höhenverstellbare Tische zu beschaffen. „Impulsvortrag von Anna Kopp, IT Director (CIO/ CDO) von Microsoft Deutschland + Niederlande auf dem Zukunftsforum zum Thema „Die neue Arbeitswelt: Mensch und Technologie im Einklang“. 28 29 Kapitel 1.1 Flexibilität in einer positiven Arbeitskultur Erstes Kapitel Kapitel I.2 Sicherheit und Justizvollzug

30 31 Das Thema Sicherheit beschäftigt Justizbedienstete ebenso wie Bürgerinnen und Bürger stark und facettenreich. Die Sicherheit in Gerichtsgebäuden muss bestmöglich gewährleistet sein. Besondere Bedeutung kommt dabei dem Justizwachtmeisterdienst zu, dessen Angehörige ein deutliches Verbesserungspotenzial in organisatorischer und baulicher Hinsicht benennen. Alle Bereiche inklusive der Fachgerichtsbarkeit äußern den Wunsch nach einem starken Justizwachtmeisterdienst. Im Zusammenhang mit Sicherheitsthemen, gebotenen Modernisierungsmaßnahmen im Altbestand zur Herstellung von Sicherheit und der Wirtschaftlichkeit von Unterhalt und Investitionen besteht eine Verbindung zur regelmäßig in Beteiligungsformaten entfachten Debatte um zukunftsfähige Strukturen: Setzt die Justiz der Zukunft wo erforderlich auf Umbaumaßnahmen und zusätzliche Wachtmeisterstellen – oder sprechen Sicherheitsanforderungen punktuell eher für eine stärkere Zentralisierung? Einen Schwerpunkt bildet das Thema Sicherheit freilich auch in den Justizvollzugsanstalten, für die sich die Bediensteten grundlegende Modernisierungsmaßnahmen wünschen. Hierzu gehören nach Ansicht der Beteiligten nicht nur eine umfassende Digitalisierungsstrategie für den Justizvollzug, sondern auch ein stärkerer Fokus auf die Resozialisierung der Gefangenen. Kapitel I.2 Sicherheit und Justizvollzug Erkenntnisse Die Sicherheit in den Gerichtsgebäuden ist auch ein zentrales Anliegen des Justizministeriums, das sich klar zur Umsetzung der Sicherheitskonzeption bekennt. Hierzu gehört neben der Trennung der öffentlichen und nichtöffentlichen Bereiche insbesondere auch die Entlastung des Justizwachtmeisterdienstes von Aufgaben ohne Sicherheitsrelevanz. Auch im Justizvollzug treibt das Ministerium die Umsetzung wichtiger Modernisierungsmaßnahmen mit Nachdruck voran. Neben der Entlastung der Bediensteten durch eine bessere personelle Ausstattung der Vollzugsanstalten und flexiblere Arbeits- und Schichtmodelle gehört dazu insbesondere eine umfassende Digitalisierungsstrategie. Stand der Dinge

ZEIT FÜRS WESENTLICHE Impuls aus der Beteiligung Die Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister wünschen, sich voll und ganz auf die Sicherheit im Gebäude konzentrieren zu können. Zusätzliche Aufgaben zum Sicherheitsdienst sollen möglichst vermieden werden. Erste Antwort Die Wahrnehmung der sicherheitsrelevanten Aufgaben muss im Justizwachtmeisterdienst stets Vorrang vor anderen Aufgaben haben. In diesem Zusammenhang hat das Justizministerium ein Konzept zum Einsatz externer Dienstleister zur Entlastung des Justizwachtmeisterdienstes entwickelt und mit dessen Umsetzung begonnen. Auch die elektronische Aktenführung bringt erhebliche Entlastung – zusätzlich wurde der Justizwachtmeisterdienst in den vergangenen Jahren personell spürbar verstärkt. Das Justizministerium prüft zudem die Auslagerung nicht-sicherheitsrelevanter Aufgaben aus dem Profil der Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister in zentrale Dienste – im Sinne einer Konzentration auf sicherheitsrelevante Aufgaben. RÄUMLICHE TRENNUNG Impuls aus der Beteiligung Schwierige Lebenssituationen und menschliche Konflikte sind in Gerichtsgebäuden alltäglich – und liegen in der Natur der Sache. Um Bedienstete im Ernstfall vor Anfeindungen zu schützen, müssen abseits der Verhandlungssäle nichtöffentliche Bereiche für die tägliche Büroarbeit bestehen. Dies ist noch nicht in jedem Gebäude der Fall. Als Problemschwerpunkte werden kleine (alte) Gebäude und Außenstellen benannt. Erste Antwort Die Trennung der öffentlichen und nichtöffentlichen Bereiche ist bereits seit Jahren eine wesentliche Anforderung innerhalb der Sicherheitskonzeption. Die jeweilige Umsetzung hat grundsätzlich vor Ort in Abstimmung mit dem örtlich zuständigen Amt für Vermögen und Bau zu erfolgen. Die Umsetzung der Sicherheitskonzeption bleibt auf der Agenda und wird auch weiterhin durch das Justizministerium forciert. MODERNE TECHNIK Impuls aus der Beteiligung Die Bediensteten der Justizvollzugsanstalten sehen großes Potenzial für einen stärkeren Einsatz moderner Systeme in den verschiedensten Bereichen: Eine „Digitalisierung der Pforte“ sowie Kameraüberwachung werden ebenso begrüßt wie der Einsatz KI-gestützter Systeme zur Sicherheitsüberprüfung und zur Strafzeitberechnung. Erste Antwort Digitalisierungsstrategie Justizvollzug: 2025 wird die elektronische Verwaltungsakte nach und nach in allen Justizvollzugseinrichtungen eingeführt. Vorangetrieben werden ferner die Projekte „Elektronische Gefangenenpersonalakte im Justizvollzug“, „Künstliche Intelligenz im Justizvollzug“ und „Haftraummediensystem“, die das digitale Leistungsangebot für Gefangene weiterentwickeln. TRAINING FÜR DEN ERNSTFALL Impuls aus der Beteiligung Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister betonen die Wichtigkeit von besserer Schutzausrüstung, regelmäßigen, qualitativ hochwertigen Einsatztrainings und daneben auch von Dienstsport und sicherheitsspezifischen Fortbildungsangeboten. Erste Antwort Für den Justizwachtmeisterdienst gibt es ein berufsspezifisches Fortbildungsangebot – zusätzlich zum Dienstsport und sonstigen jährlichen Schulungen. Dieses wird kontinuierlich verbessert und an die Bedürfnisse der Justizwachtmeisterinnen und Justizwachtmeister angepasst. 32 33 PERSONAL UND AUSRÜSTUNG IM VOLLZUG Impuls aus der Beteiligung Vollzugsbedienstete wünschen sich, dass die Sicherheit durch eine konsequente Mehr-PersonenStockwerksbesetzung durchgängig gewährleistet wird. Auch Schutzausrüstung sowie Aus- und Fortbildung spielen hier eine Rolle. Erste Antwort Eine Besetzung von Haftbereichen mit jeweils zwei Bediensteten ist das Ziel. Die im aktuellen Doppelhaushalt 2025/2026 vorgesehenen Neustellen eingerechnet, konnten seit dem Jahr 2016 insgesamt 551 neue Stellen im mittleren Vollzugsdienst geschaffen werden. In allen Justizvollzugsanstalten des Landes wurden Einsatzteams gebildet, deren Mitglieder auf die Bewältigung besonderer Lagen spezialisiert sind. Um die Eignung der Mitglieder von Einsatzteams sicherzustellen, wird die Ausbildung der Einsatztrainer erweitert. Darüber hinaus sind regelmäßige verpflichtende Einsatztrainings sowie die weitergehende Anerkennung der Teilnahme am Dienstsport als Dienstzeit vorgesehen. Im Zuge der Einrichtung von Einsatzpools wird die Ausstattung der Justizvollzugsanstalten mit sicherheitstechnischen Ausrüstungsgegenständen und technischen Hilfsmitteln konsequent weiter optimiert. Kapitel I.2 Sicherheit und Justizvollzug Impulse aus der Beteiligung

34 35 Erstes Kapitel Kapitel I.3 Digitale Leistungsfähigkeit und Vernetzung VERBESSERUNG DER ARBEITSBEDINGUNGEN Impuls aus der Beteiligung Vollzugsbedienstete wünschen sich die Einführung flexibler Arbeitszeiten und Schichtmodelle, eine Reduzierung der Regelarbeitszeit, die Vermeidung von 12-Stunden-Schichten und spürbar höhere Zulagen für belastende Dienstzeiten. Erste Antwort Die zügige Einführung der elektronischen Verwaltungs-, Personal- und Gefangenenpersonalakte ermöglicht künftig in verschiedenen Bereichen des Justizvollzugs flexiblere Arbeitszeiten und Homeofficeangebote. Planbare sowie die Wünsche der Bediensteten berücksichtigende Schichtarbeit im Vollzugsdienst steigert die Arbeitszufriedenheit. Das Justizministerium unterstützt deshalb die Vollzugseinrichtungen bei der Erprobung und Umsetzung neuer Schichtmodelle. Zur Entlastung der im Schichtdienst tätigen Bediensteten setzt sich das Justizministerium im Übrigen auch in Zukunft für eine bessere personelle Ausstattung der Vollzugseinrichtungen des Landes ein. FOKUS AUF RESOZIALISIERUNG Impuls aus der Beteiligung Aus Sicht der Vollzugsbediensteten braucht es mehr Ressourcen für Resozialisierungsmaßnahmen, insbesondere für mehr Bildungs- und Freizeitangebote, sowie die medizinische und psychologische Betreuung von Gefangenen. Erste Antwort Der Justizvollzug gewährleistet facettenreiche Behandlungs-, Bildungs- und Freizeitangebote als Grundlage einer erfolgreichen Resozialisierung. Insbesondere wird die qualitativ hochwertige psychologische und psychotherapeutische Betreuung weiter ausgebaut. Schon heute stehen digitale Angebote wie eLearning im Justizvollzug, Telemedizin/Telepsychotherapie und Videodolmetscher zur Verfügung. Kapitel I.2 Sicherheit und Justizvollzug

36 37 Die Digitalisierung des Rechtsstaats stößt auf ungeteilte Zustimmung – innerhalb wie außerhalb der Justiz. Die Bediensteten betonen vor allen Dingen die Notwendigkeit einer performanten Ausstattung sowohl hinsichtlich Hardware als auch Software. Externe – zuvorderst Vertreter aus Wirtschaft, Polizei und Notarwesen sowie Bewährungshilfe – formulieren die Forderung an die Justiz, das volle Potenzial der Digitalisierung auszuschöpfen. Digitale Vernetzung und digitale Leistungsfähigkeit insbesondere von Gerichten sind von großer Bedeutung für die Partner der Justiz und Rechtssuchende. Außerdem betonen auch externe Partner die Notwendigkeit einer fortschrittlichen technischen Ausstattung der Gerichte. Eine reibungslose digitale Kommunikation mit der Justiz wird schließlich als maßgebliche Voraussetzung für eine fruchtbare Zusammenarbeit in der Zukunft benannt. Das Tempo in Sachen Digitalisierung ist von herausragender Bedeutung für alle Beteiligten. Aus Sicht der Justizbediensteten bedeutet dies vor allem: Die Performance von Hard- und Software muss stimmen. Im Übrigen sind Schulungsangebote und eine technische Betreuung gewünscht. »EBO - das ist der Standard, darüber sollten Übersetzungen und Ladungen gehen. « Stimme aus dem Workshop „Dolmetscher + Justiz“ Kapitel I.3 Digitale Leistungsfähigkeit und Vernetzung Erkenntnisse Die Digitalisierung der Justiz geht voran. Unternehmen sind aber noch nicht gut an die Justiz angedockt. Dafür fehlt es an einer einfach nutzbaren, effizienten Plattform. IMPULS AUS DER WIRTSCHAFT Das Justizministerium treibt die Digitalisierung der Justiz in allen Bereichen mit Nachdruck voran, regelmäßig auch federführend in länderübergreifenden Projekten. Diese Entschlossenheit und Innovationskraft fördern das Know-How und die Ausstattung der Justiz mit Zukunftstechnik, machen sich also bezahlt. Nicht umsonst ist BadenWürttemberg als Vorreiter in Sachen Digitalisierung schon heute hervorragend aufgestellt für die Zukunft. Parallel besteht eine zentrale Daueraufgabe darin, laufende Prozesse und insbesondere die elektronische Akte fortlaufend zu optimieren und im Strafbereich abschließend auszurollen. Schulungen und technische Betreuung vor Ort spielen in diesem Zusammenhang ebenfalls eine große Rolle: Die Unterstützung für Fachanwendungsansprechpartner (FAAP) in den Behörden und Gerichten wird groß geschrieben, damit diese für ihre Aufgaben in der Vor-Ort-Betreuung und -schulung der Anwender bestmöglich gerüstet sind. Im Hinblick auf die zunehmende Komplexität der technischen Ausstattung der Justizdienststellen und der dort eingesetzten Medien wurde das Konzept des „IT-Ersthelfers“ ins Leben gerufen. Das sind motivierte und technisch versierte Kollegen, die bei Hardwarestörungen vor Ort Unterstützung leisten. Dafür werden sie ausgebildet und geschult. Ergänzend können mit demselben Ziel „Medientechnik-Teams“ für die technisch-organisatorische Vorbereitung von Videokonferenzen eingerichtet werden. Schließlich achtet das Ministerium auf eine Ausstattung aller Bediensteten mit zukunftsfähiger Hard- und Software sowie Updates und turnusmäßigen Geräteaustausch. Stand der Dinge

WACHSENDES VOLUMEN Impuls aus der Beteiligung Für den digitalen Datenaustausch mit Externen werden Plattformen mit hinreichender Speicherkapazität als Voraussetzung benannt – besonders wichtig ist dies, mit Blick auf Ermittlungsverfahren, den Angehörigen der Polizei. Erste Antwort Durch eine bundeseinheitliche „Justizcloud“ sollen Prozesse vereinfacht werden. Baden-Württemberg bringt sich hier aktiv ein und hat mit Beschluss des E-Justice-Rats die Leitung des Projekts übertragen bekommen.. Der Einsatz von Cloudtechnologien bietet erhebliche Vorteile für eine moderne ITLandschaft und ermöglicht die moderne Entwicklung von Software, die einheitliche und schnelle Ausbringung von Updates und die Skalierung von Betriebs- und Speicherlösungen. KOLLABORATIONSPLATTFORM FÜR STRAFVERFAHREN Impuls aus der Beteiligung Als Meilenstein für eine effektive Zusammenarbeit in Strafsachen in der Zukunft wird die Schaffung einer gemeinsam nutzbaren digitalen Ermittlungsplattform benannt, die zugleich Möglichkeiten zum Datenaustausch, zur gemeinsamen Auswertung und zur geschützten Kommunikation (inkl. Videocalls) bietet. Erste Antwort Gemeinsam mit der Polizei treibt die Justiz in Baden-Württemberg das länderübergreifende Projekt einer deutschen Beweismittelcloud voran und bringt die Expertise aus verschiedenen Leuchtturmprojekten mit ein. Das Vorprojekt legt bereits im Sommer 2025 seinen Abschlussbericht vor – mit konkreten Realisierungsschritten. In der Zwischenzeit wird die Praxis mit pragmatischen Lösungen unterstützt. 38 39 Kapitel I.3 Digitale Leistungsfähigkeit und Vernetzung Impulse aus der Beteiligung NOTEBOOKS, E-AKTE UND WLAN Impuls aus der Beteiligung Ausstattung und Performance müssen stimmen. Auch ein flächendeckendes WLAN in Justizgebäuden wird als notwendig erachtet. Erste Antwort Das Ministerium treibt die flächendeckende Digitalisierung der baden-württembergischen Justiz mit Nachdruck voran. Schon heute ist jedes Gericht außerhalb des Strafbereichs mit der elektronischen Akte (eAkte) ausgestattet. Die flächendeckende Einführung der elektronischen Strafakte soll – in enger Zusammenarbeit mit der Landespolizei – bis Jahresende 2025 abgeschlossen werden. Zeitgleich werden alle Justizbehörden im Land mit der elektronischen Verwaltungsakte (eVerwaltungsakte) versorgt. Performance und Stabilität der eingesetzten Anwendungen müssen sichergestellt sein. Es handelt sich um eine Daueraufgabe, die durch den IuK-Bereich mit allen beteiligten Dienstleistern mit Nachdruck verfolgt wird. Die Ausstattung der Gerichtssäle mit WLAN ermöglicht es allen internen und externen Verfahrensbeteiligten, im Rahmen der Gerichtsverhandlungen auf Internet zuzugreifen. Wir streben die Ausweitung der WLAN-Ausstattung in den Gerichten und Staatsanwaltschaften an und haben dabei insbesondere Besprechungsräume und Ausbildungszentren im Blick. WEG VOM SCHNURGEBUNDENEN TELEFON Impuls aus der Beteiligung Die Bereitstellung von Notebook, Mobiltelefon, Headset oder SIM-Karte wurde seitens der Justizbediensteten benannt, um die Erreichbarkeit und Flexibilität unabhängig von Schreibtisch und Festnetztelefon zu gewährleisten. Erste Antwort Ab Juni 2025 werden mehr als 17.000 Arbeitsplätze der Justiz mit neuer und moderner Hardware ausgestattet: Alle Beschäftigen mit persönlichem Arbeitsplatz bekommen ein Notebook. Das Land hat ein Projekt zur Modernisierung der Telefonie ins Leben gerufen. Auch die Justiz soll auf „Voice over IP“ umgerüstet werden. Dies ermöglicht, dienstliche Telefonate über den Dienstrechner zu führen. Anrufe können so beispielsweise auch im Homeoffice ohne Rufumleitung entgegengenommen werden. »Es gibt keine Plattformen, auf denen große Datenbestände vorgehalten und von verschiedenen Stellen eingesehen werden können […]. In die Landes-Cloud kann nur die Justiz hochladen, nicht die Polizei.« Stimme aus dem Workshop „Polizei + Justiz“

»Die Digitalisierung der Justiz verlangt nicht nur Technologie, sondern auch und vor allen Dingen Mut zur Veränderung und Mut zum Experimentieren. Von beidem würde ich mir manchmal mehr wünschen.« Professorin Dr. Giesela Rühl, LL.M. [Berkeley] Podiumsdiskussion „Fortschritt oder Firelefanz – welche moderne Technik braucht der Rechtsstaat?“ mit Prof. Dr. Giesela Rühl LL.M., Prof. Dr. Dr. h.c. Johannes Masing, Kolja Schwartz, Ministerin Marion Gentges MdL, Rechtsanwalt Markus Hartung. SCHNITTSTELLEN Impuls aus der Beteiligung Die Kommunikation und der Datenaustausch mit Gerichten wurden vonseiten verschiedener externer Partner wiederholt als ausbaufähig oder kompliziert bezeichnet. Erste Antwort Zwischen der Justiz und ihren Kommunikationspartnern wurde bereits 2004 eine elektronische Kommunikationsinfrastruktur, der elektronische Rechtsverkehr, geschaffen, die kontinuierlich ausgebaut wird. Sie ermöglicht die verschlüsselte Übertragung von Dokumenten und Akten zwischen authentifizierten Teilnehmern und transportiert bereits seit vielen Jahren zuverlässig mehrere Millionen Nachrichten im Jahr. Bei der Weiterentwicklung aller zugehöriger Komponenten stehen insbesondere eine nutzerzentrierte und einfache Bedienung im Vordergrund. VIDEOVERHANDLUNG WEITER AUSBAUEN Impuls aus der Beteiligung Die Existenz einer starken Videotechnik in Sitzungssälen inklusive technischem Experten-Support ist nicht nur für die Akzeptanz innerhalb der Justiz von Bedeutung, sondern wird einem dringenden Anliegen externer Stakeholder gerecht. Dies vorausgesetzt, können sich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Beteiligung vorstellen, stärker auf das Institut der Videoverhandlung bzw. -vernehmung zurückzugreifen, „wenn nicht der persönliche Eindruck zwingend erforderlich ist“. Erste Antwort In Sachen Videokonferenztechnik nimmt die baden-württembergische Justiz die Vorreiterrolle ein: Allen Gerichten stehen hochwertige mobile Videokonferenzstationen zur Verfügung. Diese werden ergänzt durch fest verbaute Videokonferenzanlagen, insbesondere in großen Gerichtssälen. Alle Anlagen funktionieren plattformunabhängig, sind also nicht auf eine bestimmte Software beschränkt. INSGESAMT MEHR VIDEOEINSATZ Impuls aus der Beteiligung Auch für Vernehmungen und bei der Hinzuziehung von Dolmetschern oder der Bewährungshilfe soll der Einsatz von Videotechnik in Zukunft eine größere Rolle spielen. Insbesondere aus der Polizei kam der Wunsch, mehr Videotechnik einzusetzen. Erste Antwort Mit einem Pilotprojekt für das Videodolmetschen in Gerichtsverhandlungen geht die Justiz konsequent voran. Im Justizvollzug wird das Videodolmetschen, also die Zuschaltung von Dolmetschern in Videokonferenzen, bereits seit Jahren erfolgreich eingesetzt. 40 41 Kapitel I.3 Digitale Leistungsfähigkeit und Vernetzung

42 43 Erstes Kapitel Kapitel I.4 Digitalisiert, spezialisiert, … zentralisiert? Spezialisierung und Professionalisierung sind zentrale Zukunftsthemen. Sie werden in einem Atemzug genannt mit den Schlagwörtern Effektivität, Qualitätssicherung. Flächen- und Ressourcennutzung sowie Karriere. Die volljuristische Ausbildung zum Generalisten genießt einen hervorragenden Ruf und wird nicht zuletzt aufgrund ihrer Qualität geschätzt. Konsens herrscht aber darin, dass die Justiz der Zukunft nicht auskommt ohne eine deutlich stärkere Spezialisierung in den Gerichten und Staatsanwaltschaften. Dies setzt nach breiter Meinung sowohl Entwicklungsangebote als auch Verlässlichkeit bei der Karriereplanung voraus wenn es darum geht, einmal erworbenes Expertenwissen im Berufsleben anzuwenden und tatsächlich fruchtbar zu machen. In diesem Themenkomplex wurde rege auch über Aufbau und Struktur der Justiz in Baden-Württemberg diskutiert. Stark polarisiert die Frage, ob kleinste Einheiten – insbesondere Amtsgerichte mit bis zu einer Vollzeit-Richterstelle – zukunftsfähig sind oder ob deren Erhalt im Zuge des fortschreitenden Ausbaus digitaler Angebote und der Notwendigkeit stärkerer Spezialisierung irgendwann hinterfragt werden sollte. Ein klares Bild zeichnete sich zu diesem Komplex nicht ab. Im Gegenteil, hielten sich Pro und Contra doch die Waage. Einheitlich positiv standen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterdessen dem Thema Wissenskonzentration und Vernetzung gegenüber. Kapitel I.4 Digitalisiert, spezialisiert, …zentralisiert? Erkenntnisse Das Ministerium der Justiz und für Migration hält die Ausrichtung der Beschäftigten in der Justiz als Generalisten für richtig. Gleichzeitig ermöglicht es die Spezialisierung von Justizbediensteten, indem es die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Als Fundament der Spezialisierung dient in der Laufbahn der Richter und Staatsanwälte eine erstklassige, auf breites Wissen angelegte juristische Ausbildung. Besonders hervor ragen in diesem Zusammenhang – neben weiteren Schritten zur Spezialisierung – die jüngsten Leuchtturmprojekte der Landesjustiz: Der Commercial Court Baden-Württemberg als Spezialgericht für großvolumige Wirtschaftsstreitigkeiten bei dem Oberlandesgericht Stuttgart sowie mit dem Staatsschutzzentrum und dem Cybercrimezentrum zwei hochspezialisierte Ermittlungseinheiten bei den Generalstaatsanwaltschaften Stuttgart und Karlsruhe. Stand der Dinge

44 45 Kapitel I.4 Digitalisiert, spezialisiert, …zentralisiert? Impulse aus der Beteiligung GENERALISTENTUM GEWÄHRLEISTET FLEXIBILITÄT Impuls aus der Beteiligung Generalistinnen und Generalisten sind vielseitig einsetzbar und bleiben als flexible Kräfte unverzichtbar. Ein breites Fachwissen von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten gilt als Qualitätsmerkmal der Justiz und wird deshalb auch von Außenstehenden geschätzt. Erste Antwort Zur Personalentwicklung ist eine vielseitige Einsatzmöglichkeit im Sinne von Generalisten wünschenswert. Die Beschäftigten im höheren Justizdienst profitieren von einer breiten fachlichen Ausrichtung, beispielsweise an der Schnittstelle verschiedener Fachbereiche. Fachlich breit aufgestellte Beschäftigte sind vielseitig einsetzbar. Davon profitieren auch die Beschäftigten, die während ihrer Tätigkeit in verschiedenen und abwechslungsreichen Arbeitsfeldern eingesetzt werden können, ohne den Arbeitgeber wechseln zu müssen. EFFIZIENZ DURCH SPEZIALISIERUNG Impuls aus der Beteiligung Besondere Expertise von Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten trägt vor allem in den Augen von Stakeholdern zur Beschleunigung von Verfahren bei und birgt damit auch Potenzial, mittelbar zur Steigerung der Akzeptanz der Arbeit der Justiz in der Gesellschaft beizutragen. Erste Antwort Aus Sicht des Justizministeriums kann die Spezialisierung von Richterinnen und Richtern zur Verfahrensbeschleunigung beitragen. Baden-Württemberg setzt dies frühzeitig um und geht damit oft bundesweit erfolgreich voran. Das baden-württembergische Commercial CourtErfolgsmodell wurde konsequent weiterentwickelt, um den Gerichtsstandort für – auch internationale – Wirtschaftsstreitigkeiten noch attraktiver zu machen. Seit April 2025 gibt es am OLG Stuttgart den Commercial Court Baden-Württemberg als erste Instanz für Wirtschaftsstreitverfahren ab einem Streitwert von 500.000 Euro. Unterhalb dieses Betrages sind die Commercial Chambers am Landgericht Stuttgart erste Adresse. Zur Stärkung der staatsanwaltschaftlichen Strafverfolgungskompetenz im Bereich der Cyberkriminalität hat das Justizministerium 2024 das Cybercrime-Zentrum Baden-Württemberg (CCZ) bei der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe eingerichtet. Im CCZ werden in landesweiter Zuständigkeit herausgehobene, umfangreiche und/oder technisch bedeutsame Verfahren der Cyberkriminalität bearbeitet. Staatsschutzzentrum Baden-Württemberg: Staatsanwaltliche Aufgaben in Ermittlungsverfahren aus dem Bereich des Extremismus und Terrorismus sind seit Februar 2025 bei der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart gebündelt. An den Verwaltungsgerichten wurden asylgerichtliche Zuständigkeiten landesweit konzentriert sowie spezialisierte Asylkammern geschaffen (§ 30b ZuVOJu). Des Weiteren wurden die Verwaltungsgerichte zur Beschleunigung von Bau- und Infrastrukturverfahren mit spezialisierten Baukammern ausgestattet. Unweit des Commercial Court Baden-Württemberg: Das Zukunftsforum Justiz auf dem Gelände der Stuttgarter Landesmesse im Oktober 2024.

EINSATZGEBIETE Impuls aus der Beteiligung Viele potenzielle Bewerberinnen und Bewerber schätzen die Vielfalt an Tätigkeiten und Einsatzgebieten in der Justiz. Ein Teil steht der Justiz jedoch aus Sorge vor Verwendungen abseits der eigenen Expertise (oder Komfortzone) kritisch gegenüber. Erste Antwort Nach den Erfahrungen aus den Personalreferaten im Justizministerium schätzen die Bewerberinnen und Bewerber im höheren Justizdienst die vielfältigen Tätigkeitsmöglichkeiten sehr. Demgegenüber stellt die notwendige fachliche Flexibilität für die meisten Bewerberinnen und Bewerber kein Hindernis dar. Vielfach entdecken Bewerberinnen und Bewerber durch die verschiedenen Stationen in der Probezeit neue Vorlieben für Arbeitsgebiete, die sie zuvor nicht im Blick hatten. Die konkrete Zuweisung an den Gerichten und Behörden vor Ort erfolgt durch die Präsidien in richterlicher Unabhängigkeit oder durch den Leitenden Oberstaatsanwalt, wobei dies – soweit möglich – im Benehmen mit den Kolleginnen und Kollegen erfolgt. PLÄDOYERS FÜR DAS KAMMERPRINZIP Impuls aus der Beteiligung Die Stärkung von Kammern am Landgericht kam gerne im Zusammenhang mit Vorteilen bei der Einarbeitung junger Kolleginnen und Kollegen zur Sprache – aber auch beim Thema Geschwindigkeit. In jedem Fall genießen Kammern außerhalb der Justiz hohes Ansehen. Ihnen wird regelmäßig besondere Kompetenz zugeschrieben. Erste Antwort Die Stärkung des Kammerprinzips zur Sicherung der Rechtsprechungsqualität, zur Steigerung der Effizienz der Verfahrensführung durch erfahrene Vorsitzende und zur Förderung der Einarbeitung und Kompetenz junger Richterinnen und Richter ist dem Justizministerium ein besonderes Anliegen. Vorschläge für auf Bundesebene vorzunehmende Gesetzesänderungen zur Stärkung des Kammerprinzips, etwa durch originäre Zuständigkeiten in Spezialmaterien sowie durch eingeschränkte Möglichkeiten zur Übertragung auf den Einzelrichter, werden von Baden-Württemberg unterstützt. 46 47 »Es stimmt nicht, dass drei einzelne Richter drei Verfahren schneller entscheiden, als drei Richter gemeinsam drei Verfahren« Stimme aus dem Stakeholder-Workshop „Rechtsanwaltschaft + Justiz“ Kapitel I.4 Digitalisiert, spezialisiert, …zentralisiert? Impulse aus der Beteiligung

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